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Bundesverband von Angehörigen- und Betreuervertretungen

in diakonischen und anderen christlichen Wohneinrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung e.V.

BABdW

Ulrich Stiehl Vorsitzender

 

OFFENER BRIEF

Marburg, den 27.07.2020

Frau Dunja Hayali

ZDF-Moderatorin

Zweites Deutsches Fernsehen
55100 Mainz

​

Herrn Jens Spahn

Bundesminister für Gesundheit

Platz der Republik 1
11011 Berlin

 

Sendung des ZDF vom 16.07.2020; Corona-Alltag im Pflegeheim

 

 

Sehr geehrte Frau Hayali,

Sehr geehrter Herr Minister Spahn,

 

zunächst möchten wir unseren Dank an die Moderatorin aussprechen, die das Thema Pflege zum Gesprächsgegenstand gemacht hat, und Herrn Minister Spahn danken wir für die Bereitschaft, sich den Fragen der Talkrunde zu stellen.

 

Der aktuelle Hintergrund Corona und Pflege, mit den dramatischen emotionalen Situationen für Bewohner und deren Angehörige, gilt gleichermaßen für die Menschen mit kognitiver und mehrfacher Beeinträchtigung in ihren verschiedenen Wohnformen und Werkstätten. Hinzu kommt, dass diese Menschen schon zu „normalen Zeiten“ einer besonderen Zuwendung bedürfen. Gerade sie verstehen nicht, warum ein unmittelbarer Kontakt mit ihren Angehörigen nicht möglich sein soll. Aggression, Tränen, Verschlechterung des physischen Zustands durch Bewegungsmangel und Depressionen sind die Folge; bei den Beeinträchtigten und den mitfühlenden Angehörigen.

 

Nicht nur die Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen für alte Menschen haben Bewunderns­wertes in den letzten Monaten geleistet, sondern auch die Mitarbeiter, die diese beeinträchtigten Men­schen betreuen. In den Wohneinrichtungen für kognitiv und mehrfach beeinträchtigte Menschen ist bei geschlossenen Werkstätten/Tagesförderstätten eine Tagestruktur unter Corona-Bedingungen Schwerst- und Mehrarbeit. Auch diesen Mitarbeitenden gebührt daher die gleiche finanzielle Anerkennung, zumal hier die gleichen Ausbildungsberufe, Qualifizierungen und Anforderungen vorliegen.

 

Sie wurden übersehen? Vergessen? Nicht gemeint? Der Eindruck entstand sich verfestigend in der Talkrunde! Die Arbeit in Einrichtungen für kognitiv Beeinträchtige hat doch den gleichen Stellenwert wie die in jedem Pflegeheim, weshalb sollte ein Bonus hierfür anders bewertet werden? Es ist für die Betreuung dieser Menschen unerheblich, wer die Mitarbeitenden bezahlt; ob der Träger eine private Initiative oder kommunale, kirchliche oder andere gemeinnützige Institutionen ist. Tarifvereinba­rungen dürfen nicht Mitarbeiter unterschiedlicher Klassen hervorbringen! Das würde auf Dauer nur den Betroffenen schaden, die zufällig in einer Einrichtung mit den am schlechtesten dotierten Mitarbei­tenden leben müssen. Das verstößt gegen das Gleichheitsprinzip.

 

Gleich wer die Träger von Einrichtungen für beeinträchtigte Menschen sind, es gilt einem Trend entgegen zu treten. Es ist einfach gruselig erkennen zu müssen, dass wie dargestellt, bis zu 14% Rendite, die von der Bereitstellung für Investitionen, Verpflegung und Arbeit/Betreuen/Pflegen abgezwackt werden und so nicht für das Einkommen der Mitarbeiter oder mehr Personal zur Verfügung stehen.

 

Auch andere Faktoren sorgen für Besorgnis. Die Fachkraftquote, zu der es dann wieder viele Ausnahmen gibt, sind nicht unbedingt die entscheidende Lösung. Qualitätsmerkmale in der Betreuung müssen so ausgewählt und kommuniziert werden, dass gute Verwaltung oder Statistik nicht Pflege- und Betreuungsmängel kompensieren können!

 

Vergleicht man die Belegung von Pflegeheimen mit der von Einrichtungen für beeinträchtigte Menschen, ist rein zahlenmäßig kein Klassenunterschied festzustellen. Wurde das übersehen? Vergessen? Ist es nicht wahrgenommen worden?

 

Die fehlende Wahrnehmung in Politik und Presse der kognitiv und mehrfach behinderten Menschen ist systemisch zu werten. Auch in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks wurde in der Anmoderation nur auf Einschränkungen beim Hören, Sehen sowie die Rollstuhlbenutzung hingewiesen. Damit ist schon das Kernproblem klar zu erkennen: Offensichtlich werden nur diese Beeinträchtigten als Behinderung betrachtet.

 

Unbeachtet bleiben die Bedürfnisse von Menschen mit kognitiver und mehrfacher Beeinträchtigung. Sie sind in dem Bewusstsein der politischen Führungskräfte, Verwaltungen und der Journalisten noch nicht angekommen. Sie sind als Folge ihrer Beeinträchtigung nicht zu hören.

 

Ungehörte nicht anzuhören, ist unerhört!

Angehörige / rechtliche Betreuer kognitiv Beeinträchtigter gehören gehört!

 

Wir hätten uns klare Aussagen gewünscht, die diesen engagierten Personenkreis, der benachteiligte beeinträchtigte Menschen betreut, würdigt und ihn nicht zusammen mit seinem „Klientel“ schlichtweg ignoriert.

 

 

Unterzeichnet von Mitgliedern des BABdW

Siegfried Albert, Ursula Cassel, Karl Eichler, Inge Fischer, Reinhard Frank, Wolfgang Grosscurth, Volker Papenhagen, Bernd-Jochen Peters, Martin Petzold, Waltraut Radzuweit, Ulrich Stiehl, Karl-Heinz Wagener, Dr.-Ing. Gerhard Wagner, Achim Wenz

 

Nachrichtlich per Mail an:

 

Quellen:

ZDF Mediathek https://www.zdf.de/politik/dunja-hayali/dunjahayali-106.html

Bayerischer Rundfunk https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/tagesgespraech-corona-probleme-von-menschen-mit-behinderung,S5XbeUN

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